Sechste Urabstimmung von Project R
Sehr geehrte Frau Verlegerin
Sehr geehrter Herr Verleger
and everybody beyond!
Wie jeden Herbst ist es Zeit, dass die Blätter fallen, die Schatten wachsen, Einsame durch Alleen wandern und Sie Ihre Bürde (und Ihr Privileg) als Mitglied der Verlagsetage schultern.
Diese Bürde (beziehungsweise dieses Privileg) besteht gleich aus drei Paketen: dem Newsletter hier, dem Geschäftsbericht und – schliesslich – Ihren Entscheidungen bei der Abstimmung.
Beim Geschäftsbericht haben wir versucht, für Sie in der Chefetage alle Firmengeheimnisse so klar, knapp und bullshitfrei wie möglich auf die Reihe zu bringen. (Und weil Sie kein Taschenrechner sind: mit einer Menge prächtiger Grafiken und Bilder.)
Unser Ziel ist, Sie auf den neuesten Stand des Irrtums unseres gemeinsamen Unternehmens zu bringen: zu seinen Dummheiten, Erfolgen, Plänen. Sodass Sie den Überblick über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft haben. Und bei der Abstimmung echte Entscheidungen treffen können.
Wobei ... hier eine Warnung von Albert Einstein: «Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind nur Illusionen, wenn auch hartnäckige.»
Was nicht nur für die vierdimensionale Raumzeit gilt, sondern auch für die vierdimensionale Betriebswirtschaft. Die Vergangenheit ist nicht vergangen, die Zukunft verkrümmt die Gegenwart, und die Gegenwart ist nicht dasselbe wie die Realität.
Sie werden sehen, was wir meinen.
Damit zunächst zu einem superkurzen Überblick über die Geschäfte vom
Juli 2021 bis zum Juni 2022:
Das letzte Jahr schlossen wir mit einem operativen Überschuss von rund 60’000 Franken ab. Was für ein Medienunternehmen im Kleinkindalter ein solider Erfolg ist. Dank an Sie!
An Erkenntnis warf das Jahr 12’573’576 Zeichen Text ab. Wir entschuldigen uns, dass es nicht weniger waren.
Beteiligt daran waren 3616 Verlegerinnen mit 42’370 Debattenbeiträgen. Es war ein Vergnügen, mit Ihnen zu reden!
Die Verlagsetage blieb in etwa gleich: ein Jahr zuvor 28’695, dieses Jahr 28’338 Verleger. Die Zahl der Jahresmitgliedschaften stieg leicht. Die Monatsabos nahmen um 600 ab. Hier haben wir Sorgen.
Seriösen Ärger macht höchstwahrscheinlich ein Formfehler aus der Vergangenheit, der uns teuer zu stehen kommt: Wir haben Steuerrückstellungen von 930’000 Franken vorgenommen, die dieses Geschäftsjahr ins Defizit reissen.
Einige Worte zu diesen Rückstellungen: Diesen Sommer bereiteten wir uns auf die Erneuerung des Steuerrulings vor. Und entdeckten einen möglichen Fehler bei der steuerlichen Einordnung von einigen Zahlungen, die wir insbesondere während der Gründungszeit erhielten. Wir haben dies den Steuerbehörden transparent mitgeteilt und sind momentan mit ihnen im Gespräch, um für die Vergangenheit und die Zukunft Klarheit zu haben. Noch ist unsicher, wie die endgültige steuerliche Einschätzung ausfallen wird – deswegen haben wir den Maximalbetrag zurückgestellt.
Das ändert nichts an unserem im Sommer beschlossenen Wachstumsbudget: Wir sind weiterhin überzeugt, dass der einzige Weg, langfristig und nachhaltig relevant zu bleiben und am Markt zu bestehen, Wachstum ist. Nur eine wachsende Verlegerschaft kann unsere Stimme lauter und unsere Relevanz grösser werden lassen.
Was heisst: Die ruhigen Zeiten sind nicht nur in der Weltpolitik vorbei. Aber mehr dazu später und hier entlang, wollen Sie direkt die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und uns mit einer Mitgliedschaft oder einem Monatsabonnement unterstützen.
Damit zunächst zu Wahlen und Abstimmungen. Es geht um Folgendes:
Genehmigung Geschäftsbericht inklusive Konzernrechnung 2021/2022
Genehmigung Jahresrechnung Project R 2021/2022
Entlastung Vorstand 2021/2022
Ergänzungswahl Vorstand
Wahl Revisionsstelle 2021/2022
Festlegung/Bestätigung Mitgliederbeiträge 2021/2022
Wenn Sie an dieser Stelle schon mit Ihrer Arbeit und diesem Newsletter abschliessen wollen: Vergessen Sie nicht, an Bord zu kommen – es kostet Sie höchstens 3 Minuten und bringt uns unserem Wachstumsziel einen grossen Schritt näher. Sie machen dadurch unsere Investition in unabhängigen Journalismus möglich.
Wenn Sie aber noch mehr wissen wollen, hier ein paar Hinweise zu den heiklen Punkten:
Eigentlich dachten wir, letztes Jahr den neuen Verwaltungsrat stabil aufgestellt zu haben. Die Mitgründerin Clara Vuillemin konnte darauf – wie schon länger geplant – zurücktreten.
Dann passierte dieses und jenes: Die Organisationsentwicklerin Regina Meier musste sich um Krankheitsfälle in der Familie kümmern; der Genossenschaftsveteran Peter Schmid hatte bereits ein Jahr länger angehängt als geplant; der Mitgründer Constantin Seibt arbeitet seit Anfang Sommer als Stabsstelle der Chefredaktion (auch, um mehr zu schreiben) – eine erfreuliche Rolle mit einem Haken: Als Verwaltungsrat wäre er quasi Chef seines Chefs Oliver Fuchs.
Alle drei treten deshalb zurück. Regina Meier mit Dank für «ein inspirierendes Jahr», Peter Schmid mit «besten Wünschen», Constantin Seibt mit dem Stolz «auf die unnatürliche Leistung, zu Themen, von denen ich nichts verstehe, fast nichts gesagt zu haben». Danke dafür!
Bleiben die Präsidentin Sylvie Reinhard und Alfonso von Wunschheim – beide Start-up-Veteranen. Das dringendste Loch an Know-how war: die publizistische Kompetenz. Und hier gelang es uns, ein ziemliches Schwergewicht zu finden:
Roger de Weck hat bereits ziemliche Tanker gefahren: Er war Chefredaktor beim «Tages-Anzeiger» und bei der «Zeit», Generaldirektor der SRG. Was uns sehr beeindruckt, ist seine Neugier. Und dass er nicht nur auf der Kommandobrücke beeindruckt, sondern auch in der Takelage: Niemand von der Redaktion hat je die Schnelligkeit und Kürze seiner Fragen bei seinen Interviews bei der «Republik» erreicht.
Wir wären erfreut, wenn Sie Roger de Weck in den Verwaltungsrat der «Republik» wählen würden.
Aus exakt neun Gründen: erstens bis achtens, weil er er ist. Und neuntens: Sonst wäre unser strategisches Deck unterbesetzt. (Wir planen, es im nächsten Jahr wieder weiter auszubauen.)
Mitglieder der Verlagsetage mit fotografischem Gedächtnis werden bereits seit einigen Absätzen eine naheliegende Frage haben.
Denn im letzten Newsletter kündigten wir an, mit dem nächsten Budget wieder ins Risiko zu gehen. Und alles erwartete, dass das Geschäftsjahr mit schwarzen Zahlen ausgeht.
Die naheliegende Frage ist: Bleibt es dabei?
Die Antwort ist: Ja! Wir bleiben dabei und gehen nächstes Jahr bewusst ins kalkulierte Risiko. Und erhöhen das Budget von 6,3 auf 8,6 Millionen Franken.
Das mit der Überzeugung, dass wir das schon früher hätten tun sollen. Und zwar aus zwei Gründen:
Weil uns wichtig erscheint, die Basis und das Produkt der «Republik» zu verbessern – da unser Ziel keine kleine, zufriedene Boutique ist, sondern der Einfluss auf die gesellschaftliche Debatte.
Investitionen in Wachstum sind unvermeidlich. Die Erneuerungsrate von 80 Prozent gilt zwar in der Medienbranche als höchst erfreulich – aber ohne einen stetigen Strom an neuen Verlegerinnen ist sie nur eine ehrenvolle Nebenbemerkung im Nachruf. Ein vom Publikum finanziertes Medium ist ein lebenslanges Schneeballsystem.
Geld hingegen bedeutet in dieser Welt nicht wirklich mehr Sicherheit. Sondern vor allem mehr Zeit, um wachsen zu können. Die Steuerrückstellung ist zwar eine teure Überraschung, aber unterm Strich heisst sie, dass wir unseren Job mit noch mehr Tempo machen müssen. Im teuersten Fall kostet sie uns drei Monate Zeit.
Hier der Überblick über das Budget des sechsten Geschäftsjahrs (die detaillierte Aufschlüsselung in Zahlen finden Sie, wenn Sie es genauer wissen wollen, hier:
Von den 2,3 Millionen mehr sind 1,3 Millionen (sollten wir sie ausschöpfen) einmalige Ausgaben für konkrete Projekte. Die wiederkehrenden Ausgaben fliessen nicht nur in die Stärkung des Journalismus, sondern auch der Struktur dahinter: zum Beispiel in neue Reporterinnen, eine solidere Abschlussredaktion, mehr Luft für das Tech-Team.
Sie werden sich vielleicht fragen, ob wir nicht zu viel am Apparat bauen. Anstatt zu sagen: Wichtig für das Produkt sind zwei, drei neue Reporter – und fertig.
Nur war das die Todsünde vieler etablierter Verlage: nicht zu sehen, dass die Entwicklung, das Redigieren, die Ästhetik, Programmierung, Fehlerfreiheit von Beiträgen ein schwieriger, zeitaufwendiger, nicht von vielen machbarer Job ist. Und die deshalb dachten, dass man diesen Teil beliebig zusammenlegen, -stauchen und -streichen könne. Weil der Beitrag ja bereits nach dem Schreiben da sei.
Und dass man sich höhere IT-Kosten und den Dialog mit den Lesern sparen könne. Weil Leserinnen nur ein Interesse hätten: möglichst schnell möglichst viel verdaulichen Inhalt zu bekommen.
Das Resultat waren gesichtslose, regelmässig fahrige, nicht einmal so viel billiger produzierte Massenprodukte. Und wenn wir uns nicht irren, Produkte, die fundamental am Publikum vorbeigingen: Denn Lesen ist eine intime Sache, man sitzt dem Autor quasi eins zu eins gegenüber (deshalb hat man auch fast freundschaftliche Verhältnisse zu verstorbenen Autorinnen). Dazu investiert man als Leserin kostbare Zeit – und es ist auch eine Frage des Vertrauens: Während der Lektüre denkt man quasi mit fremdem Kopf.
Dieses Vertrauen war im Journalismus lange kein Problem. Bevor das Internet kam, hatte die Morgenzeitung ein Monopol: Man las, was drinstand. Entwickelte eine Gewohnheit. Und hielt sie für Heimat.
Heute braucht es weit mehr, um Vertrauen zu gewinnen: Klarheit, Wärme, Schönheit, einen Faktencheck, Transparenz bei Fehlern, schnellen Support und Augenhöhe: dass man die Möglichkeit zum Dialog hat.
Während in Grossverlagen ...
Entschuldigung – wir liessen uns hinreissen. Die oben erwähnten anderen 1,3 Millionen sind für einmalige Ausgaben, vor allem:
Für das Projekt «‹Republik› zum Hören», das seit Ende Oktober läuft: Alle «Republik»-Artikel werden Tag für Tag von professionellen Sprecherinnen eingelesen. Das tun wir, weil das Ohr als Verbreitungsweg immer wichtiger wird: Bei unserem dänischen Schwestermedium «Zetland» werden 75 Prozent der Artikel gehört, nicht gelesen.
Für das Klima-Labor: Wir sind überzeugt, dass Journalismus in der Klimakrise wesentlich mehr leisten sollte als bisher. Und werden deshalb experimentieren: um zusammen mit Expertinnen und Ihnen herauszufinden, wie wirklich brauchbarer Klimajournalismus aussehen muss. (Hier können Sie sich voranmelden – Mitte Januar gehts los.)
Für die interne Organisationsentwicklung. (Wir haben einen Generationenwechsel hinter uns – und Organisation in der «Republik» ... fragen Sie nicht.)
Kampagnen: Wir haben seit Menschengedenken keine konzertierte Marketingkampagne mehr gemacht (und wir glauben, dass die «Republik» noch einiges mehr an Potenzial hat).
Nicht zuletzt planen wir, etwas die Einstellung zu ändern: Nach der Überlebenskampagne und dem Covid-Lockdown waren wir sehr auf Vorsicht geeicht. Es ist Zeit, wieder Neues zu entwickeln.
Ganz haben wir aber die Vorsicht noch nicht abgelegt. Es gibt sowohl im wiederkehrenden als auch im nicht wiederkehrenden Budget einiges an Raum: sodass wir, falls alles flachfällt, auf die Bremse treten können.
Die obige Strategie ist nicht ohne Logik, aber auch nicht ohne Abgründe. Wir werden schnell Erfolg haben – oder die Richtung ändern müssen.
Deshalb planen wir für Jahresbeginn eine Kampagne – mit dem Ziel, 5000 Verlegerinnen auf einen Schlag an Bord zu holen.
Klappt das – grossartig. Wenn nicht, müssen wir ab Februar den Kurs ändern.
Wir hoffen, dass Sie die Nerven bewahren und uns trotz oder wegen des ehrgeizigen Budgets die Treue halten.
Und dass Sie uns helfen, bis Ende Geschäftsjahr auf 33’000 Verlegerinnen zu kommen – die dann jeden Herbst die Bürde (und das Privileg) des Geschäftsberichts, der Urabstimmung und eines nicht überraschungsfreien Newsletters auf sich nehmen.
Herzlich, mit Dank für Ihre Zeit und die Teilnahme an der Abstimmung!
Ihre Crew von Project R und der «Republik»
PS: Die Urabstimmung läuft seit heute, 11. November, Punkt 5 Uhr. Und endet am Sonntag, 27. November, Schlag Mitternacht. Um abzustimmen, klicken Sie hier.
PPS: Falls Sie Fragen haben oder sich zuvor mit Ihren Kolleginnen aus der Verlagsetage über die Lage der «Republik» austauschen wollen, hier ist die Debatte dazu.
PPPS: Ein Willkommen an Bord an die 8 neuen Sprecherinnen der «Republik»: Regula Imboden, Miriam Japp, Dominique Barth, Magdalena Neuhaus, Jonas Rüegg Caputo, Egon Fässler, Danny Exnar und Jonas Gygax.
PPPPS: Ein Willkommen auch an Jana Schmid, die im Oktober als Redaktionspraktikantin gestartet ist, und an Omar Chaghoury, der ebenfalls im Oktober sein Betriebspraktikum bei uns gestartet hat.
PPPPPS: Unsere Gerichtsberichterstatterin Dr. Dr. Brigitte Hürlimann hat bereits zwei Ehrendoktortitel – und hat jetzt auch noch den Greulich Kulturpreis zum Thema Justiz bekommen. Wir gratulieren herzlich – und warten zuversichtlich auf ihre Erhebung in den erblichen Adelsstand.
PPPPPPS: Unser Reporter Daniel Ryser hat schon mehr Bücher geschrieben, als Frau Hürlimann Doktortitel hat. Sein neuestes ist eine Biografie des Rappers Stress mit einem der sachlichsten Titel der Sachbuchgeschichte: «179 Seiten Stress».
PPPPPPPS: Wir haben in diesem Newsletter viel zur Lage der «Republik» und bei weitem zu wenig zur Lage der Welt geredet. Das ändert sich nun radikal. Seit dieser Woche liefern wir jeden Montag das Wichtigste zu den Plagen der Welt in dem Newsletter «Winter is coming»: über Krieg, Energieknappheit, Klimakatastrophe, Covid-Seuche und den aufmarschierenden Faschismus. Plus ein paar garantiert entspannende Kleinigkeiten am Ende. (Dieser Newsletter ist auch für Nicht-Verlegerinnen gratis. Wer immer den Mut dazu hat, kann ihn hier bestellen.)
PPPPPPPPS: Wir sagten es zwar schon, aber dennoch: Falls Sie noch nicht an Bord sind, heuern Sie doch hier an. Es braucht keine drei Minuten und ist somit schneller, erfreulicher und kostengünstiger als jeder Kontakt mit den Steuerbehörden.
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